
Zugrecht
Autor: Karl Heinz Burmeister | Stand: 31.12.2011
Das Zugrecht (Näherrecht, ius retractus) gibt dem näher Berechtigten die Befugnis, eine vom Eigentümer an einen ferner stehenden Berechtigten veräusserte Sache gegen Kostenersatz an sich zu «ziehen». Das Zugrecht hat seinen Ursprung in der mittelalterlichen Gebundenheit des Grundeigentums und bezweckt, das Familien- oder Genossenschaftsvermögen zusammenzuhalten und Fremde vom Gütererwerb auszuschliessen. Politisches Ziel war im 18. Jahrhundert, dem Ausverkauf landwirtschaftlicher Flächen an Bündner und Schweizer im Raum Balzers und an Feldkircher Ausbürger in der Herrschaft Schellenberg entgegenzutreten. Näher Berechtigte (Züger) waren Verwandte, Nachbarn, Gemeinde- oder Landesgenossen; ferner Stehende waren Nichtverwandte, Auswärtige, die als Fremde geltenden ansässigen Juden, die Hintersassen oder Neubürger.
Das Zugrecht bezog sich v.a. auf Liegenschaften (bebaute Grundstücke, Äcker, Weingärten, Wiesen, Wälder, Alpen usw.), begrenzt auch auf Fahrnis (bewegliche Häuser, Vieh). Das Zugrecht galt teils befristet, teils unbefristet (ewiges Zugrecht). Der Züger musste den Kaufpreis und allfällige Aufwendungen des Erwerbers ersetzen. Da Missbräuche (fiktive Kaufpreise) häufig waren, wurde der Kostenersatz nach billiger Wertschätzung durch zwei Schätzleute ermittelt. Das Zugrecht war in Liechtenstein altes Gewohnheitsrecht mit einer Verjährungsfirst von 15 Jahren bei Grundstücken und zehn Jahren bei Fahrnis. 1624 wurde das gegenseitige Zugrecht der Untertanen der Herrschaft Schellenberg und der österreichischen Untertanen in Bangs vertraglich geregelt, 1719 die Verjährung des Zugrechts gegenüber Klöstern aufgehoben und 1755 das Zugrecht der Gemeinde Balzers gegenüber den Bündnern festgeschrieben. 1771 erfolgte die Aufhebung des Zugrechts bei Fahrnis, 1809 bei Liegenschaften.
Literatur
- Werner Ogris: Zugrecht, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 5 (1998), Sp. 1791f.
- Josef Büchel: Geschichte der Gemeinde Triesen, hg. von der Gemeinde Triesen, Bd. 2, Triesen 1989, S. 551f.
- Louis Carlen: Näherrecht, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 3 (1984), Sp. 827–831.
- Alois Ospelt: Wirtschaftsgeschichte des Fürstentums Liechtenstein im 19. Jahrhundert. Von den napoleonischen Kriegen bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 72 (1972), S. 5–423, hier S. 148, 392.
- Alfons Feger: Fürst Josef Wenzel Liechtenstein. Seine Stellung in der Geschichte seiner Zeit und seine Regierung im Fürstentum Liechtenstein, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd.21 (1921), S. 57–132, hier bes. S. 106–114.
- Albert Schädler: Regesten zu meiner Sammlung liechtensteinischer Urkunden (1395–1859), in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 7 (1907), S. 103–169, hier S. 134f.
Von der Redaktion nachträglich ergänzt
- Christoph Becker: Näherrecht, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Bd. 3 (2016), Sp. 1754–1756.
Zitierweise
<<Autor>>, «Zugrecht», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 12.2.2025.