
Zumwinkel-Affäre
Autor: Andreas Brunhart | Stand: 6.11.2018
Klaus Zumwinkel, Vorstandvorsitzender der Deutschen Post, wurde am 14.2.2008 in seinem Privathaus in Köln vor zahlreich anwesenden Fernsehkameras verhaftet. Die Staatsanwaltschaft Bochum ermittelte wegen Verdachts der Steuerhinterziehung gegen Zumwinkel, der kurze Zeit später von seinem Amt als Post-Vorstandsvorsitzender zurücktrat. 2009 wurde Zumwinkel zusammen mit hunderten weiteren deutschen Steuerhinterziehern verurteilt. Sein Strafmass für die Hinterziehung von Steuern in Höhe von über 970 000 Euro war eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren gegen die Bezahlung einer Bewährungsauflage von 1 Mio. Euro. Die Daten, welche zu den umfangreichen Ermittlungen geführt hatten, stammten von der LGT Treuhand AG, einer Tochtergesellschaft der LGT Bank in Liechtenstein in Vaduz. Der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) hatte sie von einem geheimen Informanten erworben – gemäss dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel um die Summe von 4,6 Mio. Euro.
Diese Affäre, in den Medien meist «Zumwinkel-Affäre» oder «Liechtensteiner Steueraffäre» genannt, sorgte in Liechtenstein für Unruhe, sowohl auf dem Finanzplatz wie in der Politik und in der Öffentlichkeit. Auch in den internationalen Medien blieb das Thema lange präsent und erhöhte den Druck auf sogenannte «Steueroasen» wie Liechtenstein, Monaco und Andorra und auch auf weitere Länder mit starkem Bankgeheimnis wie beispielsweise die Schweiz, Luxemburg oder Österreich. Nicht nur die hohe Anzahl und zum Teil die Prominenz der überführten Steuersünder sorgten für hohe Aufmerksamkeit und damit für Anpassungsdruck auf Liechtenstein, sondern auch die markanten Aussagen deutscher Politiker und Medien. Der Druck Deutschlands wurde beim Staatsbesuch des liechtensteinischen Regierungschefs Otmar Hasler bei Bundeskanzlerin Angela Merkel eine knappe Woche nach der Verhaftung Zumwinkels evident. Die Steuerfrage blieb bis zum Abschluss des liechtensteinisch-deutschen Steuerinformationsaustauschabkommens 2010 respektive des Doppelbesteuerungsabkommens 2011 Thema Nummer eins in den diplomatischen Beziehungen beider Staaten.
Am 12.3.2009 stellten Erbprinz Alois, Regierungschef Otmar Hasler und der designierte Regierungschef Klaus Tschütscher die «Liechtenstein-Erklärung» vor, in der sich Liechtenstein zu einer konsequenten Weissgeldstrategie bekannte und somit zu den internationalen OECD-Standards betreffend Transparenz und Informationsaustausch in Steuerfragen. Dieser Strategie folgend, wurden die regulatorischen Massnahmen auf dem Finanzplatz Liechtenstein verstärkt (→Finanzdienstleistungen) sowie 77 bilaterale und multilaterale Abkommen über die Doppelbesteuerung und/oder den Informationsaustausch in Steuersachen abgeschlossen (Stand November 2018).
Neben anderen Faktoren trug dieser Wandel zu einem tiefgreifenden Reformprozess in Liechtensteins Finanzdienstleistungssektor bei, vor allem im Treuhandwesen, aber auch bei den Banken. Auch verschärfte die Zumwinkel-Affäre den Einbruch der liechtensteinischen Konjunktur, der durch die internationale Finanzkrise von 2008/09 und starke Frankenaufwertungen ausgelöst worden war; in Mitleidenschaft gezogen wurden sowohl die Wirtschaft wie die Öffentlichen Haushalte. Die durchschnittliche Performance der Aktienkurse der beiden börsenkotierten Liechtensteiner Banken (Liechtensteinische Landesbank und VP Bank) waren von der Affäre nur kurz negativ beeinflusst, die Kursvolatilität blieb aber erhöht.
Wie sich rasch herausstellte, handelte es sich beim Informanten, der die Affäre ausgelöst hatte, um den Liechtensteiner Heinrich Kieber (*1965). Kieber hatte die Daten als früherer Angestellter der LGT Treuhand gestohlen und verkaufte sie nach eigenen Angaben ausser an den BND auch an mindestens 12 andere Steuerbehörden und Geheimdienste. Seit März 2008 existiert ein internationaler Haftbefehl gegen Kieber.
Die Zumwinkel-Affäre fand 2010 mit einer Strafzahlung der LGT von 50 Mio. Euro in die deutsche Staatskasse ihr formelles Ende. Die moralische und rechtliche Frage, ob gestohlene Daten gekauft und verwendet werden dürfen, blieb in der öffentlichen Debatte umstritten, auch in Deutschland. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hielt im November 2010 den Kauf von Daten-CDs für verfassungskonform und gab damit den Weg frei für weitere Datenkäufe. Die öffentlichkeitswirksame Verhaftung Zumwinkels führte zu zahlreichen Selbstanzeigen. Gemäss einer Zwischenbilanz der Bochumer Staatsanwaltschaft von 2010 beliefen sich die Steuernachzahlungen aus Selbstanzeigen auf 626 Mio. Euro (etwa zwei Drittel davon ohne Bezug zum LGT-Fall), während sich die Strafzahlungen für die bereits erledigten 244 Fälle der insgesamt 596 Ermittlungsverfahren aufgrund der LGT-Daten auf 181 Mio. Euro summierten.
Hatte in der Liechtensteiner Finanzplatzkrise der Jahre 1999 bis 2001 der Geldwäschereivorwurf im Mittelpunkt gestanden, ging es in der Zumwinkel-Affäre vor allem um die Bekämpfung der Steuerhinterziehung.
Quellen
- Übersicht über die von Liechtenstein geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) und Steuerabkommen über den Informationsaustausch (Stand: 21.11.2023).
- Erklärung Liechtensteins, hg. Regierung des Fürstentums Liechtenstein, 12.3.2009.
Literatur
- David Beattie: Liechtenstein. Geschichte & Gegenwart, 2., neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Triesen 2015, S. 424–437.
- Andreas Brunhart: Stock Market’s Reactions to Revelation of Tax Evasion: An Empirical Assessment, in: Swiss Journal of Economics and Statistics, Volume 150 (2014), Issue 3, S. 161–190.
- Sigvard Wohlwend: Der Datendieb. Wie Heinrich Kieber den grössten Steuerskandal aller Zeiten auslöste, Berlin 2011.
- Gerlinde Manz-Christ: Liechtenstein und die deutsche Steueraffäre. Eine über die Medien geführte Diskussion über Wirtschafts- und Finanzpolitik, Ethik und nationale Interessen, Master-Thesis TU München, 2008.
Zitierweise
<<Autor>>, «Zumwinkel-Affäre», Stand: 6.11.2018, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 14.2.2025.