Versicherung

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Autor: Stefan Karlen | Stand: 31.12.2011

Das Grundprinzip der Versicherung besteht in der wechselseitigen Deckung eines Geldbedarfs beim Eintritt eines unvorhersehbaren Schadenereignisses. Gegen Entrichtung einer Prämie übernimmt der Versicherer beim Eintritt eines solchen Ereignisses eine Leistungspflicht. Zu unterscheiden sind die Organisationsformen der öffentlich-rechtlichen Versicherung und der Privatversicherung sowie die Bereiche Sozialversicherung, Personenversicherung (Leben, Unfall, Krankheit), Sachversicherung (Hausrat, Haftpflicht, Elementarschäden, Transport etc.) und Rückversicherung (Versicherung der Versicherer).

In dem bis Mitte des 20. Jahrhunderts bäuerlich-kleingewerblich geprägten Liechtenstein breitete sich das Versicherungsgewerbe im internationalen Vergleich mit einer Verzögerung von mehreren Jahrzehnten aus. In der Gründerphase im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts entstanden als einheimische Körperschaften von lokaler Bedeutung einige nicht gewinnorientierte Versicherungsvereine und Hilfsgenossenschaften auf Gegenseitigkeitsbasis. Die teilweise kurzlebigen Privatversicherer (meist Aktiengesellschaften) stammten v.a. aus der österreichisch-ungarischen Monarchie (besonders Vorarlberg und Tirol) und dem Deutschen Reich. Im Vordergrund standen die Feuer- bzw. Gebäudeversicherung und landwirtschaftliche Versicherungen wie die Viehversicherung.

Als erste Feuerversicherung nahm 1832 die tirolisch-vorarlbergisch-liechtensteinische Brandversicherungs-Anstalt mit Unterstützung der Regierung den Betrieb auf. 1845 resp. 1854 folgten die beiden grossen österreichischen Versicherungen Generali und Riunione Adriatica di Sicurtà. Ab den 1860er Jahren erwarb eine grössere Zahl von Versicherungsunternehmen die Konzession zum Geschäftsbetrieb in Liechtenstein, primär im Bereich Gebäudeversicherung, der durch das Feuerpolizeigesetz von 1865 Auftrieb erhielt (Versicherungsobligatorium für Wohngebäude). Ab 1867 führte mit der Lebensversicherungs- und Ersparnisbank Stuttgart eine erste Lebensversicherung eine Agentur in Liechtenstein. Auch schweizerische Gesellschaften fassten nun Fuss, so die Basler Feuer 1864. Schliesslich kam es zur Gründung von liechtensteinischen Versicherungen wie dem Brandversicherungsverein Triesenberg 1867 und dem Viehversicherungsverein des Fürstentums Liechtenstein 1873. Zusätzliches Geschäftsvolumen brachte die aufkommende Dampfkesselversicherung sowie die Ausdehnung der Feuerversicherungspflicht auf sämtliche Gebäude 1909. Bestrebungen des Landtags zur Gründung einer staatlichen Feuerversicherungsanstalt scheiterten 1905 und 1926.

In den 1920er Jahren folgte eine Welle von Neukonzessionierungen, besonders von schweizerischen Versicherern (u.a. Lebensversicherungsgesellschaft Winterthur 1924 und Schweizerischer Lebensversicherungs- und Rentenanstalt Zürich 1925). Sie profitierten von der Entwertung der österreichischen Krone und dem Zollvertrag mit der Schweiz (1924); Neuabschlüsse erfolgten nur noch in Schweizer Franken. Der Versicherungsbestand der deutschen und österreichischen Gesellschaften war dagegen stark rückläufig, mehrere Versicherungen zogen sich zurück. Doch obschon die schweizerischen Versicherer den Markt bald dominierten – sie vereinnahmten in den 1930er Jahren über 90 % der Prämien –, war auch ihr Geschäftsgang unbefriedigend. Die Konkurrenz drückte auf die Prämien, während die Schadenhäufigkeit (besonders in der Feuerversicherung) weit über dem schweizerischen Durchschnitt lag.

Seit der Einführung des Personen- und Gesellschaftsrechts 1926 war zum Betrieb des Versicherungsgewerbes eine Konzession der Regierung und die Bestellung eines Repräsentanten erforderlich. Sämtliche Versicherungen mit Sitz oder gewerblicher Tätigkeit in Liechtenstein unterlagen einer jährlichen Gesellschaftssteuer. Die Regierung war über Jahrzehnte hinweg nicht in der Lage, eine effektive Beaufsichtigung der Versicherungsgesellschaft sicherzustellen. Aufgrund des Widerstands der grossen schweizerischen Versicherer mussten Regierung und Landtag 1935 die Einführung eines Versicherungsaufsichtsgesetzes fallen lassen und konnten den Bestimmungen zur Bestellung einer Prämienreserve nicht allgemeine Nachachtung verschaffen. Auf Druck der Gesellschaften reduzierten sie 1939 den Besteuerungssatz. Da die schweizerischen Versicherer ihre wenigen in Liechtenstein abgeschlossenen Policen ihrem schweizerischen Bestand zuwiesen, unterlagen diese Versicherungsverträge aber den rechtlichen Bestimmungen der Schweiz.

Ab den 1940er Jahren setzte ein dauerhaftes Wachstum des Prämienvolumens ein, besonders in der Lebensversicherung, was den rasch steigenden Lebensstandard der liechtensteinischen Wohnbevölkerung widerspiegelt. Dennoch blieb das Versicherungsgeschäft bis Mitte der 1990er Jahre in ausländischer Hand. Die Herausbildung des liechtensteinischen Finanzplatzes war für das Versicherungswesen zunächst von geringer Bedeutung. Die wenigen Versuche der 1920er und 30er Jahre zur Gründung von Domizilgesellschaften, Domizilierung von Versicherungsbeständen (Riunione Adriatica di Sicurtà, Triest, 1939) oder Verschiebung und Tarnung von Versicherungskapitalien (z.B. Preventa Internationale Versicherungsanstalt, Vaduz, 1926–38) wurden vorzeitig abgebrochen oder nach wenigen Jahren stillschweigend liquidiert. Die strengen Devisenbestimmungen in Europa nach 1930 machten den Kapitaltransfer nach Liechtenstein schwierig. Vereinzelt scheinen liechtensteinische Staatsbürger treuhänderisch Lebensversicherungspolicen für ausländische Klienten gehalten zu haben.

Von einem Versicherungsplatz Liechtenstein kann man erst seit dem liechtensteinischen Beitritt zum EWR 1995 und der für den Versicherungsbinnenmarkt der EU notwendigen Deregulierung des Aufsichtsrechts sprechen. Zuvor besass Liechtenstein weder ein eigenes Versicherungsaufsichtsgesetz (erlassen 1996) noch eigene Versicherungsunternehmen. Die neuen Bestimmungen ermöglichten den Betrieb versicherungsfremder (Finanz-)Geschäfte, wie sie in den EWR-Richtlinien vorgesehen sind. Neben Produkte mit Anlagecharakter traten solche im Bereich des Alternative Risk Transfer, z.B. sogenannte Captives (Eigenversicherung). Dank dem 1997 in Kraft gesetzten Versicherungsabkommen mit der Schweiz können liechtensteinische Versicherer sowohl im EWR-/EU-Raum als auch in der Schweiz direkt tätig werden. Damit fungiert Liechtenstein für schweizerische Versicherungen mit liechtensteinischen Tochtergesellschaften als Zugangstor zur EU. Günstige Rahmenbedingungen förderten besonders den Aufschwung der Lebensversicherung. Der Grundsatz, dass Versicherer nur an ihrem Hauptsitz aufsichtsrechtlich kontrolliert werden (Home Country Control-Prinzip), lässt Liechtenstein trotz der EU-weiten Harmonisierung der wichtigsten Bestimmungen Freiraum zur Ausgestaltung seines Aufsichtsrechts. Dank liberalem Steuer- und Gesellschaftsrecht sowie aufsichtsrechtlich verankertem Versicherungsgeheimnis und Konkursprivileg machten sich 1996–2002 21 Versicherer mit Sitz in Liechtenstein ansässig. Zusammen mit den 28 ausländischen Niederlassungen beschäftigten sie 2002 rund 230 Personen, verzeichneten ein Prämienaufkommen von 694 Mio. Fr. und verwalteten Kapitalanlagen von 2,2 Mia. Fr. 90 % der erzielten Bruttoprämieneinnahmen entfielen auf die Lebensversicherung, gut die Hälfte davon auf kombinierte Versicherungs- und Kapitalmarktprodukte. Die Angebote richten sich an internationale Anleger, die ein optimiertes Gesamtpaket für ihre Steuer-, Vermögens-, Vorsorge- und Versicherungsfragen wünschen. Der 1998 gegründete Liechtensteinische Versicherungsverband zählte 2011 32 Mitglieder.

Archive

  • Liechtensteinisches Landesarchiv, Vaduz (LI LA).

Literatur

  • Stefan Karlen: Versicherungen in Liechtenstein zur Zeit des Nationalsozialismus, Vaduz/Zürich 2005 (= Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission Liechtenstein Zweiter Weltkrieg, Studien 5+6).
  • Anton-Rudolf Götzenberger: Steueroase Liechtenstein. Bankgeheimnis, Versicherungen, Treuhandswesen, Stiftung und Trusts, Wien 2000.
  • Versicherungsstandort Fürstentum Liechtenstein, hg. Presse- und Informationsamt, Vaduz 1998.
  • Alois Ospelt: Wirtschaftsgeschichte des Fürstentums Liechtenstein im 19. Jahrhundert. Von den napoleonischen Kriegen bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 72 (1972), S. 5–423, hier S. 321–325.
  • Joseph Ospelt: Die Versicherung gegen Feuerschaden im Fürstentum Liechtenstein. 70 Jahre «Generali» in Liechtenstein, in: Mitteilungen der Assicurazioni Generali 1/2 (1937), S. 22–24.

Zitierweise

<<Autor>>, «Versicherung», Stand: 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL), URL: <<URL>>, abgerufen am 28.3.2025.